Adorno und Hobbes

Adorno sagt H O B B E S!

 

À propos Adorno Erinnerungen: Unzweifelhaft regierte Adorno in Schrift und Vortrag mit dem Apodiktum, wahr kann nur sein, was von der Distanz her b e g r i f f l i c h erfahren wurde. Und natürlich wurde dieses Apodiktum immer mit einem rituellen Auftritt zur Vorlesung hinterlegt, in dem zwei wohlbekannte, nicht mehr so junge ‚Assistenten‘, der eine den Mantel, der andere das Tonbandgerät tragend, mit ihm hinunter ins Auditorium schritten und am Pult die nötigen Vorbereitungen trafen. Die Ritualität betraf, es muss gesagt werden,  nicht nur die operative Situation, sondern entsprach auch dem Theorie- und Sprach-Duktus insgesamt. Man muss sich sodann vorstellen, dass Adorno unerwartet auch den engen Panzer der sonst aufererlegten Distanz durchbrechen konnte. Es kam nicht häufig vor, und ist deshalb heute weniger bekannt, Adorno verfügte ganz und gar über eine Reihe von rhetorischen Kunstgriffen, mit denen er insbesondere, wenn es ihm etwa um lokalpolitisch relevante Identitätspolitik ging, die Pedanterie seiner selbst auferlegten Vorschriften außer Acht lassen konnte. Da regierte Theodor W. Adorno im Frankfurter Philosophicum ganz nach der Devise eines offen idiosynkratischem Zynismsus, attakierte die in Massen unschuldig vor ihm sitzende Studiengemeinde, ohne dass es ihm übel genommen wurde und fuhr dann fort. Zunächst aber atmete er tief und erhob die Stimme, als er bei diesem Namen des schottischen Philosophen H O B B E S ankam. Er setzte dann dem Wort einen Oxfordian Hauch auf, und blies nach einer kurzen Pause ein breites  Ä B B E S S von der Kehle über die Lippen. Damit konterkarrierte er die vorgetellte gängige Art seiner Lehrer-Studenten aus dem Frankfurter Umfeld, dem Taunus etwa, dem Odenwald, den Weilburger und Alsfelder Landen, wie sie nur mit dem Namen H O B B E S umzugehen wussten. Oder er immitierte sie so, wie er es einmal in einer Philosophie-Prüfung von einem Kandidaten gehört hatte:  Ä B B E S S, also ‚etwas‘, na so wie Äbbelwoi eben. Natürlich konnte Adorno Ä B B E S S und H O B B E S in gleichermaßen authentischer Weise, spitz und gezielt und mit einem gläsernen Lächeln nach unten und oben in den Hörsaal über ihre Köpfe hinweg peitschen.

Als unbetroffener Beobachter, als den ich mich betrachtete (obwohl auch mir Hochdeutsch nur als Erste Fremdsprache zugewachsen war – ha, und mit welcher Pein) unterstellte ich Adorno für einen Moment die Absicht, er habe seine Hörerschaft herausfordern wollen, sich quasi von den vor ihm sitzenden Massen befreien wollen. Er habe die da unschuldig vor ihm sitzenden mit der stillen, gleichwohl deprivierenden Absicht angemacht, um sie aus dem Großen Hörsaal zu verschrecken. Das aber war fehl gedacht.* Hier ging es  um mehr; wirklich, um die Verunglipfung des Hessischen, des lokalen (Bauern-)Dialekts, er mache den Menschen unfähig, den Namen des großen Philosophen auf Englisch richtig auszusprechen. Adorno wollte die da unten mit einem identitären Schrecken in ihrer ‚Eigentlichkeit‘ treffen, was ihm wohl auch gelungen ist.  Denn verschrecken konnte er sie damit nicht. Im Gegenteil, sie nahmen mit ungebrochener Beständigkeit weiterhin an seinen Vorlesungen teil, jeden Dienstag und Donnerstag von 12 bis Eins, zu Hunderten.

Die Erinnerung kam mir jetzt, als ich davon las, dass Klaus Theweleit, der neue Adorno-Preisträger der Stadt Frankfurt, Adorno des begrifflich-rationalen Rechthabergestus beschuldigt. Möge dem neuen, zu beglückwünschenden  Adorno-Preisträger selbst der Hang zur Hybris erspart bleiben, und damit auch die schicksalhafte Auffahrt mit der Seilbahn hinauf zum Matterhorn. Mann kann Adorno wirklich nicht einfach ungestraft, diesen immer aufflatternden Funken vom Leiden an Natur und menschlicher Sinnlichkeit abstreiten (auch dem Streithahn in Sachen Dialekt und Dialektik, über niedere Volks-Musik und höhere Klassik, und über Unmittelbarkeit in der neuen Bildwelt nicht). Ja, sagen wir es, der Mann hat in Ehren am B E G R I F F gelitten, und musste in Zynismus verfallen, weil er selbst so verspielt und sinnlich war.   

*(So etwas gelang in Frankfurt nur den antpodischen Orientalisten Sellheim und van ESS, wenn sie im klein angesetzten überfüllten Seminarraum des Orientalischen Seminars in ARABISCH I durch das sterile und pedantische Vortragen von Brockelmanns Arabischer Grammatik ihre Zuhörerschaft schon nach zwei Sitzungen von ca. 50 auf 2 bis 3 reduzieren konnten.) 


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