Aldous Huxleys

Aldous Huxleys Zeiten, welche bleiben, welche enden...

 

Meingast gesteht, er hat nun schon seit längerer Zeit des Öfteren in einem ihm teuren Buch gelesen, in Aldous Huxleys „Zeit muss enden“. Nicht, dass er glaubte, den verwirrenden Verlauf der Geschichte und die Plots nicht verstanden zu haben. Nein, die Atmosphäre um den aufsteigenden jungen Dichter aus gutem Hause in London und die Eskapaden um die florentiner Villa des Millionen-schweren Onkels  waren immer ein anregendes Leseereignis. Da haben wir vorallem den Vater, den Onkel und eben den jungen Abenteurer-reichen Dichter. Aber im Hintergrund sind eben Krieg und philosphische Fragen über den linken angestrengten Opfergeist des Vaters und die offenen, lebensbejahenden Stimmungen des betuchten Kunstsammlers Eurace, des Onkels in Florenz. Der mediterrane lebensphilosophische Höhepunkt, an dem Meingast nie vorbeikam, war ein Dante-Zitat das der große Florentiner lokal-Intellektuelle Bruno dem stauneneden Christen Sebastian vortrug:  

„e la sua volontate è nostra pace;

Ell’é quell mare al qual tutto si move,

Ciò ch’ella crea e che natura face” *

Und sein Wille ist unser Frieden

Er ist dieses Meer, auf dem sich alles bewegt,

So ist es, dass er schafft und die Natur es macht

*(ich werde später auf dieses Zitat noch zurückgreifen)

 

Heute wollte Meingast sich aber der Krise widmen, und fragen, ob denn da nicht alles auf den Krieg hinaus liefe; und als er wieder zu dem Buch gegriffen hatte, beschloß er, es diesmal einfach von hinten anzufangen.

Der Vater war nicht der beste Freund des jungen dichtenden Sebastian Barnack. Das war schon am Beginn des Romans ersichtlich geworden. Jetzt ,in der letzten Passage, kommt der Vater der sozialdemokratische und altruistische, und zugleich von hoher Gesinnung und Verantwortung für die Besserung der Menschheit eintretende linksorientierte Journalist John Barnack aus anregenden und anstrengenden Reisen im kriegsbeladenen Commonwealth zurück. Er berichtet dem Sohn und liefert zugleich eine ernüchternde Philosophie der verzweiflnden Melancholie ab, so als hätte er zu viel Neues, Unverstehbares  zu sagen. Sebastian aber, der Sohn bleibt skeptisch.

Aber Alles ist am Ende der Kriegszeit, was hat die englische Menschheit daraus gelernt? Es ist vor 1945 geschrieben; Alles ist auf die Frage gerichtet, was wird Neues mit der Welt, was nun am Ende des Kriegs passieren, welche Zukunft?

Was muss sich der immer noch junge Sebastian von seinem Vater alles anhören. Hatte er nicht früher noch so sehr unter der selbstgerechten Strenge dieses Mannes gelitten, er war nicht quasi noch vor Beginn des Kriegs vor diesem Mann nach Florenz zu seinem dort als reicher Mann residierenden Onkel Eurace geflohen?

Plötzlich sprach dieser Ordnungs-bewußte Mensch von einer Zeit, in der es Schluss war „mit dem Unfug der Fahrpläne oder telegrafische Verständigungen“, die wirkliche Krise.

Da war der Ausgang der Wahlen in den USA noch nicht abzusehen, „ob die Republikaner die Präsidentenwahl wirklich gewinnen würden? Jedenfalls werde die künftige Politik der USA nicht durch irgendeine Partei oder irgendeinen Präsidentin entschieden werden, sondern durch die nackte Gewalt der Umstände. Wer immer gewählt würde, es gebe nur noch mehr staatliche Kontrolle, noch mehr Zentralisierung, um mit den Nachkriegschaos fertig zu werden; hohe Steuern auch weiterhin ...“ (359)

Seinen Vater beobachtend, der nun alle Anzeichen des Alters unter der Wirkung seiner anstrengenden Lebenserfahrung ließ, erfährt er, wie dieser 70jährige von einem gealterten England spricht, von Nepotismus, Dummheit und Verworfenheit der Kollegen: „die Welt war voll von Siebzigern, die sich darin gefielen, 30-jährige oder noch Jüngere zu spielen, statt sich auf den Tod vorzubereiten, statt zu versuchen, die spirituelle Wirklichkeit hervorzugraben, mit deren Verschüttung  unter einem ganzen Berg von Abfall sie ihr Leben verbracht hatten. Bei seinem Vater war davon natürlich von allerhöchster Qualität gewesen – strenge Lebensweise, Dienst an der Öffentlichkeit, umfassendes Wissen, politischer Idealismus. Aber die spirituelle Wirklichkeit war nicht weniger wirksam verschüttet, als sie es etwa unter einer Leidenschaft fürs Glücksspiel gewesen wäre oder unter einem Besessensein von geschlechtlicher Genussgier.“ ....(361f.)

Haben sich die Menschen unter dem Einfluss der Kriegserfahrungen, der Kriegswirtschaft und kriegszeitliche Organisation oder gar des politischen Wirrsals von Hungersnot und Seuchen etwas gelernt? Nein, sie bewegen sich in den neuen „Abgründen des Rassenhasses“, in denen „bewusst oder unbewusst die Vorbereitung für den kommenden Krieg der Hautfarben“ (362) getroffen werden.

So waren die Ergebnisse des Weltkriegs zugleich die Konstellationen für den neuen zu erwartenden Krieg: „Ein England, ein Westeuropa, ein Amerika, in dreißig Jahren kaum stärker bevölkert als gegenwärtig, und ein Fünftel der Einwohner Altersrentner. Und gleichzeitig mit dieser Hinfälligkeit ein Russland von mehr als zweihundert Millionen, vorwiegend jugendlich und so auftrumpfen zuversichtlich und so imperialistische gesinnt, wie England es an einem entsprechenden Punkt seiner längst vergangenen Phase wirtschaftlicher und demokratischer Expansion gewesen war. Und östlich von Russland dann ein China von vielleicht fünfhundert Millionen im 1. Auftritt des Nationalismus und der Industrialisierung. Und südlich des Himalaya 4-oder 500 Millionen hungernde Inder, die verzweifelt versuchen, die Erzeugnisse ihrer Umstand Löhne arbeitenden Fabrikarbeiter gegen die Mittel dafür zu tauschen, gerade lange genug leben zu können, um weitere 50 Millionen der Bevölkerungszahl hinzu zu fügen und noch ein oder zwei Jahre von der im Durchschnitt zu erwartenden Lebensdauer abzuziehen.

„Hauptergebnis des Kriegs, so fuhr der Vater düster fort, werde die Beschleunigung von Vorgängen sein, die sonst viel allmählicher und weniger katastrophal verlaufen wären. Das Vordringen Russlands zur Beherrschung Europas und des nahen Ostens; Chinas Vordringen zur Beherrschung des übrigen Asiens; und das Vordringen ganz Asiens zur Industrialisierung. Sturzbäche williger Fabrikwaren, die die Märkte der Weißen überfluten. Und die Reaktion der Weißen auf die Sturzbecher der casus belli für den kommenden Hautfarbenkrieg.“(363)

 

Wie aber wird dieser Krieg aussehen? In Indien etwa, das der Vater besser kennt, spricht er von Hungersnot in Bengalen, dann pandemische Malaria, die Gefängnisse überfüllt mit Männern und Frauen, an deren Seite er selbst noch vor ein paar Jahren für swaraj  (die Selbst-Regierung in Unabhängigkeit) gekämpft hatte...(364)

 Meingast, er ist kein Historiker, er war perplex. Hat sich an diesen Konstellationen in ihrem Grundton seit 1945 etwas geändert?, dachte er. Fünfundsiebzig Jahre seit Ende des Zweiten Weltkriegs, fünfundsiebzig Jahre seit erscheinen des Buches „Zeit muß enden“? Gut, 1950 von der Schweiz her nach Deutschland übersetzt; waren die Deutschen reif für ein solches Buch? Sind sie es heute? Konnten die Sozialdemokraten je etwas daran ändern? Hat ihnen die Melancholie darüber, dass ihnen die Arbeiter davonlaufen, geholfen?

Darüber demnächst mehr unter „Utopie des gasförmigen Wirbeltiers“.

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