Maskhara

Masken, Masken, ... YA MASKHARA!  
Dr. Deingast, ein Freund aus hoffungsvollen literarischen Tagen, klärte mich darüber auf, dass die Maskerade, dieses wundersame deutsche Wort, seinen Ursprung im Arabischen maskhara habe. Ich hatte den Eindruck, dass er einem berühmten Hang der Orientalisten folgte, die den Unterschied des Abendlands gegenüber der voluptuösen Kultur der Araber am Punkt von deren ‚Ambiguität‘ festmachen. Wenn sie auch, gerechterweise machmal davon sprechen, dass an diesem Punkt Abendland und Morgenland, Okzident und Orient,  nicht zu unterschieden sind. Oder wollen sie einfach unbelastet diese grauenhaften Kriegsschauplätze hinterm Mittelmeer immer nur weiter betreiben?
 Es kam mir wie eine Erleuchtung: Die Orientalisten haben da etwas zu tun.
„Von der Seite her“, sagte ich mir, „kann ich die Sache mit angehen. Wenn es auch bloß ein literarisches Bändchen mit Stücken zum Thema Maske sein soll.“
So sehr mir die Idee gefiel, so sehr wollte mir der literarische Gehalt nicht einleuchten. Was mir von Boccaccios „Dekameron“ oder „Tausend und eine Nacht“ bekannt war, oder mir in den Karnevals-Studien von Goethe, „Italienische Reise“ (Rom), oder Lawrance, „Sardinien“ (Nuoro, ein kleines stinkendes Bergdorf), wieder in Erinnerung kam, mochte ich nicht legere wieder auftischen.
Ya maskhara! fiel mir aus meinen ägyptischen Tagen ein, was für eine Begegnung zwischen Gott und Teufel? Wenn etwas stinkt und dann doch genommen wird, wie es ist. Auf den Tenor kommt es an. Betont muss sein, was man meint, auch wenn es was ganz anderes meinen könnte. Ein Ausruf der Freude: hoch; ein Affekt im Verdruss: tief! Oder war es einfach nur ein Naja oder ein Was-für-eine-Bescherung! Mitten im Durcheinander zwischen Erkennen und Verwischen, das wusste ich von den Arabern, kann man sich auch wohl fühlen, oder eben auch ganz anderen Stimmungen folgen. Bei uns dagegen, mögen die heroischen Geister immer auf Augenhöhe reden und auf Zweideutigkeiten verzichten. Und doch: Auch wenn wir das nackte Menschsein verabscheuen, auch bei uns gibt es diese ungewollte ‚Ambiguität‘. Die Menschen stülpen sich ihre Masken über und wollen doch nur ihr bloßes Leben retten. Wollte Dr. Deingast der allgemeinen Gleichheit dieses Willens einen friedlichen Gleichmut aufsetzen?
Später, der Zufall wollte es, am gleichen Tag, kam mir eine Überraschung; ein Stück Literatur doch noch, wenn auch aus Lateinamerika und aus dem Netz. Jetzt plötzlich was ganz Ernstes! Ich fand, ohne dass ich danach gesucht hätte, ein paar beunruhigende Zeilen zum Thema. Ein Gedicht von Claudia Lars, das ein Vietnam-Veteran meiner Generation aus seiner Vietnam-Biographie ins Internet gestellt hatte:
Without realizing it, I became a member of the leftist anti-war movement. I latched onto a few lines of poetry by Claudia Lars from Central America that I saw as the core of my story:
I saw the masked men
Throwing truth into a well
When I began to weep for it
I found it everywhere.
(Ohne es zu merken, wurde ich Mitglied der linken Antikriegsbewegung. Ich stieß auf ein paar Gedichtzeilen von Claudia Lars aus Mittelamerika, die ich als Kern meiner eigenen Geschichte ansah:
Ich sah wie die maskierten Männer
Die Wahrheit in einen Brunnen warfen
Als ich zu weinen anfing
Ist sie mir überall begegnet
nach Dave Lindorff, Counterpunch 05/07/20)
Jetzt konnte von Gleichmut nicht die Rede sein; die Stimmung war unglücklich. Diese vier Zeilen von Claudia Lars waren Dave Lindorff ein Herzstück seiner Vietnam-Erinnerungen. Dagegen sind wir die erbärmlichen Maskenträger des Konsums; stehen in den Einkaufsschlangen; heben den Zeigefinger des Korrekten gegen die Andern; stülpen uns die schwarzen Gesichtsmützen wie beim polizeilichen Einsatz über; oder zeigen uns gar durch die Absage des Stammtischs beunruhigt. Der Zahnarzt sagt, „Sie dürfen jetzt die Maske wieder aufsetzen“. Ya maskhara! Man kann ja nicht mal mehr ins Theater! Wer schon will vor lauter Wahrheit in den Brunnen geworfen werden, wie im Gedicht von Claudia Lars?
Die Welten liegen weit auseinander. Es muss das Theater weitergehen. Die Araber nennen Theater masraha – hört sich sehr ähnlich an, aber ein Ya masraha! Gibt es nicht. Die Araber wissen, dass das Weltheater nicht ohne die bedrohliche Demokratie der Masken auskommt. Waren doch ihre runden Sand-Wüsten schon längst im melancholischen Blick der Unseren eingehüllt und von den wundervollen Bildern aus den Tunesien-Reisen der Surrealisten, der Klee und Macke, von „Kairuan“ her gezeichnet worden. Tiefe Schleier der Orientalisten! Von daher wäre noch viel über die exotische Maske des Schleiers zu sagen...
Deingast! Wie geht es Dir! Du Schelm! Ehrlich, die Masken-Welle, sie ist ja auch schon fast völlig verebbt. Ehrlich: Ya maskhara!
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